Kinder haften für ihre Eltern

Der BGH hat in seinem heutigen Beschluss vom 12. Februar 2014 – XII ZB 607/12 entschieden, dass "keine Verwirkung des Anspruchs auf Elternunterhalt bei einseitigem Kontaktabbruch des Unterhaltsberechtigten gegenüber seinem volljährigen Sohn" besteht.

Sachverhalt

Die Freie Hansestadt Bremen verlangte von einem Sohn Elternunterhalt für seinen Vater, der im Pflegeheim war. Der Vater lebte von einer geringen Rente und von einer Lebensversicherung. Die Eltern des 1953 geborenen Sohnes trennten sich 1971; die Ehe der Eltern wurde noch im selben Jahr geschieden. Der Sohn blieb im Haushalt seiner Mutter und hatte anfangs noch losen Kontakt zu seinem Vater. Nach Erreichen des Abiturs im Jahr 1972 brach der Kontakt des volljährigen Sohnes zu seinem Vater vollständig ab.

1998 errichtete der Vater ein notarielles Testament, in dem er seine Bekannte zur Erbin einsetzte. Zudem bestimmte er, dass der Sohn nur den "strengsten Pflichtteil" erhalten solle. Erläuternd führte der Vater in dem Testament aus, dass zu seinem Sohn seit rund 27 Jahren kein Kontakt mehr besteht. Im April 2008 verzog der Vater in eine Heimeinrichtung; er starb im Februar 2012. Die Stadt Bremen wollte den Sohn für die Zeit von Februar 2009 bis Januar 2012 für die erbachten Leistungen in Höhe von 9.022,75 € in Anspruch nehmen.

Das Amtsgericht gab dem Antrag statt; das Oberlandesgericht hat den Antrag zurückgewiesen mit der Begründung, dass der Anspruch auf Elternunterhalt verwirkt sei. Hiergegen hatte sich die Stadt Bremen gewandt.

Die Entscheidung des BGH zum Elternunterhalt nach § 1611 BGB

Der Bundesgerichtshof hat die amtsgerichtliche Entscheidung wiederhergestellt. Der BGH ist der Ansicht, dass der Anspruch auf Elternunterhalt trotz des Kontaktabbruchs zu dem volljährigen Sohn nicht nach § 1611 Abs. 1 BGB verwirkt war.

Zur Erklärung:

Gewöhnlich ist es so - wenn ein älterer Mensch in ein Pflegeheim kommt, müssen hierfür seine Rente und alle seine Ersparnisse aufgebraucht werden, bevor er Stütze vom Staat erhält.

Gibt es dann immer noch eine Finanzierungslücke zwischen den Heimkosten zu dem vorhandenen Vermögen oder Einkommen, werden – wenn kein direkter Unterhaltsverpflichteter ermittelt werden kann – die Sozialämter erst einmal in die Pflicht genommen. Sie müssen die Finanzierungslücke vorerst schließen, SGB XII. Nach dem Tod eines solchen pflegebedürftigen älteren Menschen sucht das Sozialamt nach Erben oder wie in diesem Fall - nach einem Unterhaltsverpflichteten.

Denn hier gilt: Kinder haften für ihre Eltern. Das nennt man Elternunterhalt.

Im BGB ist die Unterhaltspflicht hier zu finden:
§ 1607 BGB Ersatzhaftung und gesetzlicher Forderungsübergang
“(1) Soweit ein Verwandter auf Grund des § 1603 (nicht leistungsfähig) nicht unterhaltspflichtig ist, hat der nach ihm haftende Verwandte den Unterhalt zu gewähren.“
Normalerweise ist nach § 1608 BGB zuerst die Haftung des Ehegatten vorgeschrieben. In diesem Fall war der Vater jedoch unverheiratet und hatte lediglich eine Bekannte.

Nun sagt jedoch der BGH: Obwohl Vater und Sohn seit 27 Jahren keinen Kontakt mehr hatten, sind beide miteinander verwandt. Das reicht aus, damit der Sohn dem Vater gegenüber unterhaltspflichtig wird. Nach § 1611 BGB (Beschränkung oder Wegfall der Verpflichtung) kann man die Verpflichtung zum Unterhalt jedoch auch beschränken:

„(1) Ist der Unterhaltsberechtigte durch sein sittliches Verschulden bedürftig geworden, hat er seine eigene Unterhaltspflicht gegenüber dem Unterhaltspflichtigen gröblich vernachlässigt oder sich vorsätzlich einer schweren Verfehlung gegen den Unterhaltspflichtigen oder einen nahen Angehörigen des Unterhaltspflichtigen schuldig gemacht, so braucht der Verpflichtete nur einen Beitrag zum Unterhalt in der Höhe zu leisten, die der Billigkeit entspricht. Die Verpflichtung fällt ganz weg, wenn die Inanspruchnahme des Verpflichteten grob unbillig wäre.

Ansicht des BGH zum Wegfall von Elternunterhalt

Der BGH war jedoch der Meinung, dass ein Kontaktabbruch nicht zum Wegfall der Inanspruchnahme des Sohnes führen sollte: „Ein vom unterhaltsberechtigten Elternteil ausgehender Kontaktabbruch stellt wegen der darin liegenden Verletzung der sich aus § 1618 a BGB ergebenden Pflicht zu Beistand und Rücksicht zwar regelmäßig eine Verfehlung dar. Sie führt aber nur bei Vorliegen weiterer Umstände, die das Verhalten des Unterhaltsberechtigten auch als schwere Verfehlung i.S.d. § 1611 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 BGB erscheinen lassen, zur Verwirkung des Elternunterhalts. Solche Umstände sind im vorliegenden Fall nicht festgestellt.

Zwar mag der Vater durch sein Verhalten das familiäre Band zu seinem volljährigen Sohn aufgekündigt haben. Andererseits hat er sich in den ersten 18 Lebensjahren seines Sohnes um diesen gekümmert. Er hat daher gerade in der Lebensphase, in der regelmäßig eine besonders intensive elterliche Fürsorge erforderlich ist, seinen Elternpflichten im Wesentlichen genügt. Die Errichtung des Testaments selbst stellt keine Verfehlung dar, weil der Vater insoweit lediglich von seinem Recht auf Testierfreiheit Gebrauch gemacht hat.“

Meiner Meinung nach hätte es nicht zu einer Inanspruchnahme des Sohnes kommen dürfen. Richtigerweise wäre - wie bei der Bestattungspflicht – eine Erstattung durch den Erben durchaus gerechter gewesen.

Quelle: Nr. 27/2014 Mitteilung der Pressestelle Bundesgerichtshof