Auslegung von Testamenten

Man sagt, in Deutschland haben rund 25 % der Bevölkerung (im Norden weniger, im Süden mehr) ein Testament. Davon (!) sind ca. 1/3 auslegungsbedürftig. Das ist immer dann der Fall, wenn der Verstorbene seinen letzten Willen nicht eindeutig zum Ausdruck gebracht hat. Dazu möchte ich Sie auf meinen Artikel zur Klarstellung verweisen.

Man höre und staune - diese Auslegungsbedürftigkeit gilt nicht nur für handschriftliche Testamente, sondern - so das OLG Hamm - auch für notarielle Testamente. Das ist immer dann der Fall, wenn der Notar juristische Begriffe unrichtig verwandt hat; nach meiner Erfahrung ist es auch so, wenn mehrere Notare an der Erstellung - zum Beispiel bei drei oder vier aufeinanderfolgenden Testamenten - mitgewirkt haben.

Meist geht es aber um private Testamente. Wie sehr man auf die Formulierung achten muss und wie sehr man den gewünschten Erben dabei schaden kann, zeigen zwei recht harmlos anmutende Beispiele: Wenn der Erblasser nun über ein Millionenvermögen und eine von ihm sehr geliebte Immobilie verfügt und nur die Immobilie an seine Nichte vererbt - was ist dann mit dem Rest - ist die Nichte überhaupt Alleinerbe geworden? Tritt über den Rest die gesetzliche Erbfolge ein mit dem Ergebnis, dass der ungeliebte einzige Sohn (Ehefrau ist vorverstorben) alles erhält?

Oder: Es gibt einen Unterschied zwischen Erbe und Vermächtnis.

§ 1922 BGB Gesamtrechtsnachfolge
(1) Mit dem Tode einer Person (Erbfall) geht deren Vermögen (Erbschaft) als Ganzes auf eine oder mehrere andere Personen (Erben) über.

§ 1939 BGB Vermächtnis
Der Erblasser kann durch Testament einem anderen, ohne ihn als Erben einzusetzen, einen Vermögensvorteil zuwenden (Vermächtnis).

In der Übersetzung heißt das: Der Erbe kriegt alles, der Vermächtnisnehmer, dem "vermacht" man ein bißchen, zum Beispiel die blaue Vase von der Urgroßmutter.

Daher ist es äußerst schwierig zu erkennen, ob es ein Vermächtnis oder ein Erbfall ist, wenn dem "Erben der Nachlass vermacht wurde". Das mag für Sie eine unbedeutende Feinheit sein, sie führt jedoch dazu, dass dieses Testament ausgelegt werden muss.

Entsprechendes gilt auch für die unklare Bezeichnung von Nachlassgegenständen. Hier gibt es für Studenten einen Lehrbuchklassiker, wo der Erblasser (ein Weinliebhaber) seine “Bibliothek“ einem Freund vermacht. Gemeint war jedoch seine umfangreiche Sammlung wertvoller Weine und nicht seine Bücherei.

Begriffe wie Vorerbe, Nacherbe und Ersatzerbe scheinen für juristische Laien austauschbare Begriffe zu sein, die teilweise wahllos verwandt werden – natürlich immer in der besten Absicht.

Also: Die falsche Verwendung von Fachbegriffen zieht regelmäßig eine Auslegung durch Nachlassgerichte nach sich und da ein Nachlassrichter auch nur ein Mensch ist, können da die dollsten Sachen herauskommen. Der Nachlassrichter muss interpretieren und den mutmaßlichen Willen des Erblassers ermitteln, ohne die Familie persönlich zu kennen. Deswegen Vorsicht bei kostenlosen Testamenten, die man im Internet herunter laden kann oder die in den „Fachbüchern für Anwender„ zu finden sind.

Diese Leute kennen Ihre Familiensituation nicht, fragen nicht nach allen Ihren Familienmitgliedern und deren Abkömmlingen und auch nicht, was Sie wirklich wollen. Ich schon.